Hartmut Glänzel

Stadt-als-Schule Berlin auf Dauer genehmigt

- eine Bilanz nach 10 Jahren Schulversuchsarbeit

Als vor etwa 15 Jahren die Initiativgruppe zur Einrichtung einer Stadt-als-Schule in Berlin ein Gespräch mit der damaligen Schulsenatorin Frau Laurin führte, war die Sache klar. "Dieses Konzept ist kein Schulkonzept" wurde der Gruppe beschieden. "In Berlin kann daraus nie und nimmer eine Schule werden!"[1] Das Unvorstellbare war: Abkehr vom Fächerkanon der Schule, Orientierung an den Interessen der Schüler und eine konsequente Nutzung der Stadt als Lernort.

Es bedurfte erst 4 Jahre Modellversuch als Jugendbildungsprojekt und einer neuen politischen Konstellation ehe es dann mit Hilfe eines Parlamentsbeschlusses (aber gegen erheblichen Widerstand der Senatsschulverwaltung) zu einem Schulversuch für sogenannte Schulgescheiterte kommen konnte, in dem diese die Klassen 9 und 10 besuchen und bei Erfolg die Hauptschulabschlüsse erreichen konnten.

Inzwischen ist viel Zeit ins Land gegangen, in der unsere Arbeit immer mehr anerkannt, gewürdigt und unterstützt wurde und jetzt - in der Form einer Schule besonderer pädagogischer Prägung - endgültig bestätigt wurde.

Schulversuche - so die Schulgesetzformulierung - werden ja immer unter der Idee genehmigt, Impulse für die Regelschule zu setzen, Unterrichtsformen, -methoden und -strukturen zu erproben, die bei Erfolg später von der Regelschule übernommen werden können. Deshalb dürfte spätestens jetzt die Zeit sein, einmal Bilanz zu ziehen über das Erreichte, über das, was Stadt-als-Schule der Regelschule als Erfahrungen weitergeben könnte.

Der Versuchsauftrag

Zunächst einmal war der Auftrag der Stadt-als-Schule Berlin, "Schüler und Schülerinnen, die in ihrer bisherigen Schullaufbahn gescheitert sind, ....im Rahmen der ganzheitlichen Bildungsform "Praxislernen" ... zu neuen Lernanstrengungen zu führen". Ziel sollte es dabei sein, dass diese Schülerinnen und Schüler in einem der Hauptschule gleichwertigen Bildungsgang den OH-Abschluss und den erweiterten OH-Abschluß errreichen." [2] Diesen Auftrag haben wir angesichts einer Durchschnittsquote von ca. 60%, mit der unsere Schüler zu einem Abschluss geführt wurden, sicher erfüllt. Wir konnten zeigen, dass ein besonderes "Setting" - nämlich das der Stadt-als-Schule mit seinem Ansatz in der Stadt zu lernen - ehemals Schulgescheiterte wieder zu neuen Lernanstrengungen und zum Schulerfolg führen kann. Wir konnten aber auch - nachdem uns schließlich auch das in der zweiten Schulversuchsphase gestattet wurde - zeigen, dass Schüler bei uns so erfolgreich werden, dass sie sogar die Qualität eines Realschulabschlusses erreichen und in Einzelfällen sogar die "Berechtigung zum Besuch der gymnasialen Oberstufe" erhalten.

So weit der engere Versuchsauftrag der Stadt-als-Schule, dessen erfolgreiche Bewältigung[3] dafür spricht, dass es sich lohnt, weitere Schulen oder Bildungsgänge dieser Art einzurichten, wie das ja auch schon (in einzelnen Klassen) in den Schulen des produktives Lernen[4] geschehen ist. Im Verlaufe der letzten zehn Jahre konnten wir zeigen, dass man auch ohne die übliche Aufsplitterung des Unterrichts in 10 und mehr Fächer Schule in der Sekundarstufe halten und Schüler damit zum Hauptschul- oder auch zum Realschulabschluss führen kann. Das sieht auch die Schulverwaltung so, denn sonst hätte sie unsere Schule ja nicht weiter genehmigt. Das sieht die Wirtschaft so, denn sonst würden unsere Schüler ja keine Ausbildungsplätze bekommen (und erfolgreich abschließen). Das sehen auch weiterführende Schulen so, denn ein Teil unserer Schüler ist auch dort wieder erfolgreich.

Angesichts des Fächerkanons der Regelschule muss man sich das einmal vor Augen halten. Im Lernplan unserer Schüler sind nur die Fächer Mathematik, Deutsch und Englisch ausgewiesen. Die anderen Lernbereiche, die zum Teil sehr weit über den Kanon der Regelschule hinausgehen, werden je nach Fähigkeit und Interesse im Diskurs zwischen Pädagogen und Schüler entwickelt und festgelegt. Hierüber könnte Regelschule fernab aller Praxislernprojekte, wie wir sie anbieten, einmal nachdenken. Vor nicht allzu langer Zeit hat in Berlin der Schüler Benjamin Kiesewetter sich geweigert, am Chemieunterricht der 10. bzw. 11. Klasse teilzunehmen. Den Prozess hat er verloren.[5] Wenn man dies mit den Fachverpflichtungen an unserer Schule vergleicht, erkennt man die pädagogisch-politische Tragweite unseres Schulversuches.

Arbeitsorganisation

Unsere Schule hatte von Anfang an den Vorteil, dass sie sich nicht aus einer bestehenden Schule entwickeln musste, mit all ihren Traditionen und Routinen, die Veränderungen nicht gerade einfach machen. Wir kamen als Team direkt aus der Jugendarbeit mit ihren weitaus größeren Freiheiten. Wir waren es gewohnt, im Rahmen globaler Vorgaben unseren Etat selbst zu verwalten, wir arbeiteten als Team, wir hatten unsere Arbeitsplätze in den Projekträumen. Da war es nur selbstverständlich, dass wir diese Errungenschaften auch weiterführen wollten. Nicht alles hat sich der Schulverwaltung gegenüber durchhalten lassen.

Statt der Teamentscheidungen und - organisation bekamen wir einen kommissarischen Schulleiter. Die Auseinandersetzung mit dieser neuen Form der Organisation hat uns viel Kraft und Tränen gekostet. Nachdem es auf diesem Feld eine Reihe von persönlichen Verletzungen bis hin zum Weggang aus der Schule gab, hat das Kollegium sich nun - in der Form eines weitgehenden Delegationsprinzipes - damit arrangiert, ohne dass Einzelne die Idee einer kollektiven Leitung prinzipiell aufgegeben hätten.

Durchgehalten haben wir es dagegen trotz äußerst beengter Arbeitsverhältnisse, dass jeder Kollege einen halben Schreibtisch als Arbeitsfläche erhält, dass für alle Kollegen das notwendige Equipment eines Lehrers (Telefon, PC, Kopierer, Fachbücher etc.) ausreichend vorhanden und in unmittelbarer Nähe ist. Dafür haben wir es z.B. in Kauf genommen, dass wir unsere Konferenzen in einem Klassenzimmer abhalten müssen und dass es bei uns bis heute kein eigenes Zimmer für das Sekretariat oder den Schulleiter gibt, sondern dass alle zusammen in einer Art Großraumbüro untergebracht sind.

Die in Lehrerkreisen kontrovers diskutierte Frage, ob Lehrer über den Unterricht hinaus in der Schule bleiben sollen, hat sich bei uns nie so gestellt. Wir haben ganz einfach einen Großteil unser Arbeitsmaterialien in der Schule und arbeiten oft auch nachmittags hier. So gehe ich (und andere Kollegen auch) gelegentlich auch an unterrichtsfreien Tagen in die Schule und arbeite dort.[6] Auch das - verglichen mit befreundeten Lehrern, die eigentlich nie fertig sind mit ihrer Arbeit - eher eine Entlastung. Denn wenn ich dann die Schule verlasse, ist auch meine Arbeit beendet.

Auch das "Unterrichten" im Team hatten wir vom Jugendbildungsprojekt mitgebracht. Heute ist die Anwesenheit und das gemeinsame Auftreten von zwei (in Sonderfällen auch drei) Pädagogen in der Lerngruppe für uns Lehrer (und die Schüler) eine Selbstverständlichkeit und Entlastung - und wahrscheinlich bei unseren Schülern auch gar nicht anders möglich. So werden Konflikte entschärft, so können wir spontan mit kleinen Gruppen einen anderen Raum benutzen, so können wir besser und emphatischer beraten, so können wir den Schülern die Möglichkeit geben, sich an den Pädagogen ihrer Wahl zu wenden.

Konsequente Individualisierung

Mit dem Programm "die Stadt zur Schule zu machen" sind wir vor 10 Jahren angetreten, weil wir meinten, dass Schule sich öffnen muss, dass die Stadt - angemessen aufbereitet - ein weitaus besserer Lehrmeister als Schulunterricht sein kann. In diesem Ansatz fühlen wir uns wieder und wieder bestätigt. Im Laufe der Jahre haben wir allerdings auch festgestellt, dass ein anderes, zwangsläufig daraus folgendes Element für den Erfolg unserer Schule ganz entscheidend ist. Ich meine das Moment der konsequenten Individualisierung und Wertschätzung des einzelnen Schülers. Wir haben erleben können, dass im Einzelfall nicht das Praktikum in der Stadt die wesentliche Ursache des Erfolges ist, sondern teilweise noch stärker der Ansatz unserer Schule, jeden Schüler als einzigartige Persönlichkeit in seinen Stärken und Schwächen (aber hauptsächlich seinen Stärken) zu sehen und auf seinem ganz persönlichen, individuellen Lernweg zu begleiten. Das kann auch bei uns in Ausnahmefällen vollständig innerhalb der Schule stattfinden, wenn Schüler aus bestimmten lebensgeschichtlichen Gründen im Moment nicht praxisplatzfähig sind oder auch wenn sich ein bestimmtes (z.B. künstlerisches) Vorhaben besser in der Schule durchführen lässt.

Gerade dieser Focus nicht auf die Klasse, der etwas beizubringen ist, sondern auf den einzelnen Lernenden, der auf seinem Lernweg zu begleiten ist, kann für die Regelschule ein wesentlicher Impuls sein. Schule, die sich in drei oder vier (oder fünf, wenn man die Sonderschule dazurechnet) unterschiedliche Schulzweige gliedert und im übrigen undifferenzierte Angebote an eine vermeintlich homogene Lerngruppe macht, wird der Unterschiedlichkeit der Lernenden keinesfalls gerecht. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass 130 Schüler 130 unterschiedliche Lernwege und -themen bedeuten, wir also im Grunde 130 verschiedenartige Schulzweige unter einem Dach haben. Das ist es, was auch unsere Schüler immer wieder als besonders positiv an unserer Schule herausstellen.

Überschaubarkeit

Lange Zeit war Schulinnovation in Deutschland mit der Entwicklung größerer Einheiten verbunden. Die einklassige Zwergschule galt (möglicherweise teilweise zu Recht) als rückschrittlich und schien nicht geeignet, Schüler mit der in einer modernen Welt notwendigen Bildung vertraut zu machen. Moderne Lerneinrichtungen (wie z.B. Gesamtschulen) dagegen waren groß, sie hatten genügend Fachräume, eine Essensversorgung, eine Bibliothek etc. Dass in diesen großen Einheiten leicht der Blick auf den Einzelnen verloren gehen kann, haben uns unsere Schüler immer wieder bestätigt, die zu einem erheblichen Teil von dort kommen und in Schwierigkeiten waren.

Wir dagegen haben uns von Anfang an für die kleine überschaubare Schule entschieden (ca. 140 Schüler), in der jeder jeden kennt und in der bestimmte Konflikte, die aus Anonymität und Unüberschaubarkeit entstehen, gar nicht erst aufkommen. Immer wieder wird von unseren Schülern, die oft mit einer ziemlich dicken Schülerakte zu uns kommen, die Friedlichkeit unserer Schule betont.

Nach den guten Erfahrungen mit dieser kleinen, aber gleichzeitig äußerst heterogenen Schülergruppe fragen wir uns inzwischen immer wieder, weshalb diese großen Einrichtungen heute noch so hoch gehalten werden? Möglicherweise waren große Einheiten in den 70-ern notwendig, um entsprechende Fachräume sinnvoll und ökonomisch nutzen zu können, um überhaupt Mediotheken und Bibliotheken in Schulen einrichten zu können. Auch hatte man damals vielleicht noch nicht genügend Vorstellungen davon, dass Differenzierung ja auch innere Differenzierung heißen kann. Heutzutage - wo bedingt durch das Internet - jede kleinste Einrichtung mit der Welt verbunden ist und ihre Schüler mit den neuesten und aktuellsten Informationen versorgen kann, scheint eher die Größe einer Schule ein alter pädagogischer Zopf zu sein. Wie man hört, stehen wegen Schülerrückgangs in einzelnen Ländern der Bundesrepublik in den nächsten Jahren eine Reihe von Schulschließungen an. In Brandenburg hat man im Grundschulbereich mit der Aktion "Kleine Schule" diesen Schulschließungen teilweise entgegengesteuert. Unsere Erfahrung lehrt, dass die kleine Schule auch in der Sekundarstufe möglich ist - und das ganz ohne Qualitätseinbußen, ja vielleicht sogar im Gegenteil.

Schulgescheitert

Nach dem Willen der Senatsschulverwaltung besteht die Schülerschaft der Stadt-als-Schule im Wesentlichen aus sog. Schulgescheiterten oder aber solchen Schülern, die in ihrer bisherigen Schule zu scheitern drohen. Eine solche Schule von Stigmatisierten kann eigentlich gar nicht funktionieren, war unsere Überzeugung zur Antragstellung, weshalb wir auch eher an eine Gesamtschule für alle Schüler, die an unserer besonderen Lernform interessiert sind, gedacht hatten. Die Schulverwaltung wollte es anders und machte uns zu einer Hauptschule mit besonderer Klientel, womit wir letztlich die Folgeschäden der in Deutschland immer noch unhinterfragten Mehrgliedrigkeit[7] der Schule reparieren sollten. Wir haben dann trotz unserer Bedenken mit dieser Schule begonnen und gemerkt, dass es wieder Erwarten dennoch ganz gut funktioniert. Dafür gibt es gute Gründe.

Zum Einen haben wir erfahren, dass sog. Schulgescheiterte eine äußerst heterogene Gruppe sind. Wir haben immer wieder erleben können, dass auch ziemlich aufgeweckte junge Leute (bis hin zu Hochbegabten) sich unerwartet in der Hauptschule wiederfinden und auch dort zu scheitern drohen. Und wir sind immer wieder von Schülern besucht worden, die mit Schule an sich bereits abgeschlossen hatten (sog. aktive Schulverweigerer), aber unser Konzept interessant fanden (oder als das kleinste Übel betrachteten). Das schafft immer wieder eine überraschende Dynamik und eine Möglichkeit für andere Schüler, sich an Hochleistungen zu orientieren. Und Hochleistungen braucht jede Schule.

Das zweite ganz wichtige Moment ist natürlich das spezielle Setting der Stadt-als-Schule. Wenn alle unsere 130 Schüler jeweils die ganze Woche über bei uns im Schulgebäude wären, wäre das wahrscheinlich schwer auszuhalten. Sie sind aber nur zwei Tage in der Woche im Gebäude und zudem noch zeitversetzt (also nur je 65 Schüler auf einmal). Die übrige Zeit bieten wir ihnen die Stadt als Lernort, also nicht eine Situation inmitten anderer gescheiterter junger Leute, sondern in einer Ernstsituation inmitten von Erwachsenen, wo von ihnen ganz selbstverständlich die Arbeit eines Erwachsenen erwartet wird, also etwas Schwieriges und Ernsthaftes. Und das bewältigen sie dann in vielen Fällen auch und sind zurecht stolz darauf. Denn Fordern ist genauso wichtig für eine positive Entwicklung wie das Fördern im Schonraum. Soziale Integration schaffen wir also in vielen Fällen dadurch, dass wir unseren jungen Leuten die Teilhabe am Leben und die Erfahrung in Ernstsituationen ermöglichen.

Fragezeichen

Am Schluss eines Versuches wird Bilanz gezogen. Da wird aufgelistet, was sich bewährt hat und was verbesserungsfähig ist und geändert werden muss. In diesem Sinne hatten wir denn auch unsere Schulversuchsarbeit mit ausführlichen Berichten begleitet und zu den Genehmigungsgesprächen mit der Senatsschulverwaltung einen Neuentwurf einer Genehmigungsverfügung mitgebracht. Es war dann schon eine interessante Erfahrung, dass diese evaluierenden Berichte eigentlich keine große Rolle spielten. Vielmehr hatten wir eher den Eindruck, dass einzelne Personen in der Besprechungsrunde ihre eigenen Vorstellungen von Schule hatten, die sie dann auch genügend berücksichtigt wissen wollten.

So war es z.B. bei den Klassenarbeiten. Wir hatten innerhalb der letzten 10 Jahre die Erfahrung gemacht und dies auch sehr gewissenhaft dokumentiert, dass man durchaus gute schulische Qualität erreichen kann, wenn man auf Klassenarbeiten verzichtet[8]. Für künftige Realschüler sollten es dann aber plötzlich 18 Klassenarbeiten im 10. Schuljahr sein, weil das ja bei anderen Schulen auch so ist. Das hätte allerdings unseren Ansatz des individuellen exemplarischen Vertiefens völlig konterkariert. Schließlich gab man sich mit insgesamt 9 Klassenarbeiten zufrieden - auch das ein herber Einschnitt in unsere pädagogische Arbeit. In geraumer Zeit wird es sowieso Abschlussarbeiten in der Sekundarstufe geben und die Schüler müssten ja darauf vorbereitet werden. Schade, dass man uns nicht die Kompetenz zutraut, selbst geeignete Formen einer Vorbereitung unserer Schüler auf die Abschlussprüfungen zu finden!

Und so war es beim Realschulabschluss. Nachdem wir fünf Jahre lang mit (von drei verschiedenen Schulräten anerkanntem) Erfolg Schüler zum Realschulabschluss geführt hatten, heißt es jetzt, das geht ab sofort nur noch für solche Schüler, die zuvor erfolgreich in die 9. Klasse versetzt worden sind. Dazu muss man wissen, dass die Stadt-als-Schule mit der 9. Klase beginnt und gemäß Genehmigungsverfügung Schüler aus der 7., 8. oder (bei Nichtversetzung) aus der 9. Klasse aufnehmen kann. Etwa die Hälfte der Schüler, die bei uns bisher erfolgreich waren und damit (entsprechend den inhaltlichen Auflagen der Senatsschulverwaltung) einen Realschulabschluss erreichen konnten, waren zuvor nicht in die Klasse 9 versetzt worden. Diese Vorerfahrungen spielten allerdings keine Rolle. Aus Gründen der Gleichbehandlung mit anderen Schülern und unter dem Gedanken des kontinuierlichen Aufstieges ginge es eben nur so.

Soll der Realschulabschluss eigentlich eine bestimmte Leistung bescheinigen oder geht es darum, dass man lange genug in die Schule gegangen sein muss? Und warum wird diese Argumentation dann nicht auch auf den erweiterten Hauptschulabschluss angewendet? Und warum kann in Sonderfällen ein Schüler eine Klasse dennoch überspringen? Das sind (unbeantwortete) Fragen, die mich fast sicher sein lassen, dass das letzte Wort in dieser Angelegenheit noch nicht gesprochen worden ist.

Ausblick

Nach 10 Jahren Schulversuch können wir alle, die die Stadt-als-Schule Berlin mitgeschaffen und gestaltet haben (Schüler, Eltern, Lehrer und sonstige Mitarbeiter...) zufrieden sein. Wir haben eine Etappe geschafft. Aber denjenigen, die denken dass die Schule jetzt nach Abschluss der turbulenten Versuchsschuljahre in das ruhigere Fahrwasser einer Schule besonderer pädagogischer Prägung einlaufen sollte, möchte ich sagen, dass eigentlich erst ein ganz kleiner Teil dessen erreicht worden, was die damalige Initiativgruppe zur Einrichtung der Stadt-als-Schule Berlin sich vorgenommen hatte. Eine Gesamtschule sollte es damals sein und der Start mit Klasse 9 und 10 war auch nur als ein vorläufiger geplant, Impulse zur Schulreform insgesamt sollten gegeben werden.

Aber es sind nicht nur die Gründungsväter und -mütter, die der Stadt-als-Schule noch viele Aufträge mit auf den Weg gegeben haben. Im Laufe der Jahre sind eine Reihe von neuen Fragen dazugekommen die jetzt angegangen werden wollen. Die Stadt-als-Schule hat noch viel vor sich.

Hartmut Glänzel

10 Jahre Stadt-als-Schule Berlin

1.April 2003, 19 Uhr
Festakt

mit Beiträgen von

Thomas Härtel Staatssekretär SenBJS
Cornelia Reinauer Bürgermeisterin Friedrichshain-Kreuzberg
Thomas Isenseee Vorstand GEW Berlin
Johannes Gehrmann Mittelstufenleiter Fritz Karsen Gesamtschule
Sybille Gorschboth Gesamtelternvertretung
Stefan Bubenzer Verein zur Förderung der Stadt-als-Schule

2.April 2003, 11 - 15 Uhr
Tag der offenen Tür

Stadt-als Schule Berlin
Desauer Str. 24, 10963 Berlin
Tel.: 030/2250 8311 Fax: 030/2250 8315




Fußnoten

[1] Aus persönlichen Aufzeichnungen der Initiativgruppe zur Einrichtung einer Stadt-als-Schule in Berlin.

[2] Auszugsweise zitiert gemäß Drucksache 12/1526 des Berliner Abgeordnetenhauses vom 19. 5. 1992

[3] Zur ausführlichen Information über Geschichte und Entwicklung des Schulversuches sei auf die Veröffent- lichungen der Stadt-als-Schule Berlin, Dessauer Str. 24, 12053 Berlin, Tel.: 22508311, e-mail: Stadt-als-Schule.cids@t-online.de verwiesen.

[4] Das "Produktive Lernen" ist gewissermaßen die jüngere Schwester der Stadt-als-Schule. Nach dem Ende des Jugendprojektes "Die Stadt-als-Schule Berlin" im Jahre 1990 hat ein Teil der damaligen Mitglieder den Schulversuch "Stadt-als-Schule Berlin" verwirklicht, ein anderer Teil dagegen das IPLE (Institut für Produktives Lernen in Europa, Karl-Schrader Str. 6, 10781 Berlin) gegründet (vgl. I. Böhm/J. Schneider: Produktives Lernen - ein Bildungschance für Jugendliche in Europa, Schibri Verlag., Milow 1996). Das IPLE hat ab 1996 eine Reihe von Berliner Haupt- und Sonderschulen dabei begleitet, in einzelnen Klassen das sogenannte "Produktive Lernen" einzuführen, eine der Stadt-als-Schule Berlin nahe verwandte Bildungsform. Seit kurzem begleitet das IPLE die Einführung des Produktiven Lernens auch in Sachsen-Anhalt und Brandenburg (nähere Informationen über das IPLE, s. o.).

[5] Der gesamte Vorgang ist sehr aufschlussreich und ausführlich dokumentiert auf der Homepage der Kinderrechtszänker K.R.A.E.T.Z.A.E. - Chronik der Schulverweigerung

[6]] Alle unsere Kollegen haben einen Schulschlüssel, auch das ist in Berlin offensichtlich etwas Besonderes (?!)

[7] Die ja der Pisa-Untersuchung zufolge (sogar für die Elitebildung) gar nicht mal besonders erfolgreich ist.

[8]] Stattdessen verlangen wir allerdings unseren Schülern umfangreiche Dokumentationen und selbständige Aufgaben ab. Das sind Aufgaben, die in der derzeitigen Leistungskulturdiskussion am ehesten unter dem Begriff "Portfolie" diskutiert werden können. Vergl. Winter/Groeben/Lenzen (Hrsg.): Leistung sehen, fördern, werten, Klinkardt Verlag 2002, Kap. 3, Leistung neu sehen.